18.10.2023 – Wissenschaft & Forschung
Nervenzellen über Kaliumkanäle vor Entmarkung schützen
Multiple Sklerose (MS) ist die am weitesten verbreitete chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS). Sie geht mit Schäden an der Myelinschicht von Nervenzellen und bei fortschreitender Erkrankung auch mit Zerstörung der darunterliegenden Neuronen einher. Im Rahmen einer internationalen Studie haben Wissenschaftler der Neurologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim nun gemeinsam mit Kollegen aus Düsseldorf, Münster, Cambridge und San Francisco Kaliumkanäle entlang der Nervenfasern im ZNS als mögliche Angriffspunkte identifiziert, um gefährdete Neurone gegen die entzündliche Demyelinisierung bei MS zu wappnen.
Der neuen Strategie liegt die bislang unbewiesene Hypothese zugrunde, wonach ein Hauptfaktor für die Nervenschädigung bei MS eine chronische Übererregbarkeit der Nervenzellen ist. In Tiermodellen der MS fanden Forschende bereits Hinweise, dass anfällige Neuronen im Laufe der Zeit aufgrund einer metabolischen Erschöpfung zugrunde gehen. Diese wiederum wird durch eine chronische Übererregbarkeit verursacht. Die Erregbarkeit von Nervenzellen zu normalisieren, erschien den Mannheimer Wissenschaftlern daher als erfolgversprechende Strategie, den Verlust von Nervenzellen bei MS zu verhindern.
Die Ausläufer von Nervenzellen sind von einer schützenden Myelinschicht umkleidet, die in regelmäßigem Abstand durch sogenannte Ranvier’sche Schnürringe unterbrochen wird. Sie dienen der schnellen Weiterleitung elektrischer Erregung in Form von sogenannten Aktionspotenzialen. Für deren Entstehung sind Ströme von Natrium- und Kalium-Ionen in und aus der Nervenzelle verantwortlich, die durch spezielle Kanäle reguliert werden.
Untersuchungen der Forschenden zur räumlichen und funktionellen Beziehung zwischen verschiedenen Kaliumkanälen an den Schnürringen im gesunden Zustand und unter entzündlich-demyelinisierenden Bedingungen zeigten, dass die Regulation der Kanäle bei MS und im experimentellen Tiermodell gestört ist. Gaben die Wissenschaftler einen Wirkstoff hinzu, der ursprünglich für die Behandlung von Epilepsie entwickelt worden war, verringerte sich die Übererregbarkeit der Nervenzellen von Mensch und Tier und verbesserte zumindest im Tiermodell die klinischen Symptome.
„Wir haben damit einen neuen therapeutischen Ansatz identifiziert, um Nervenzellen pharmakologisch während der Krankheitsentwicklung der MS zu schützen“, erklärte Prof. Lucas Schirmer.